Naiv im besten Sinne - Michaela Schuster singt Lieder von Brahms, Schumann, Reger und Strauss

 

 

Vielseitigkeit oder Risikofreude sind auf dem gegenwärtigen Sängermarkt selten zu finden. Intendanten und Besetzungsbüros können sich immer weniger Experimente leisten.

Das heißt: Wer gut ist in einer Rolle, wird immer wieder für diese Rolle engagiert. Für die Spielpläne mag das ein Sicherheitsfaktor sein, für die Stimmen bedeutet es eine Gefahr. Denn die menschliche Stimme besteht aus einem komplexen Muskelgeflecht, und Muskeln leben davon, dass sie vielseitig eingesetzt werden. Gleichförmigkeit führt zu Überbeanspruchung – und Verschleiß.

Was klingt wie eine allgemeine Einleitung, hat direkt mit der «CD des Monats» zu tun. Als Michaela Schuster um das Jahr 2000 herum im Stuttgarter «Ring» die Fricka sang und einem größeren Publikum bekannt wurde, da staunte man über das reiche, ungewöhnliche Timbre dieses Mezzosoprans, über seinen mühelosen Umfang und seine natürliche Ausdruckskraft. Es bestand kein Zweifel daran, dass diese Stimme für dramatischere Fächer prädestiniert war. So kam es auch. Michaela Schuster sang schon bald Kundry, Ortrud, Eboli, Klytämnestra und sogar die Amme in "Die Frau ohne Schatten", so ziemlich das Schweste, was einem Komponisten für dramatischen Mezzo eingefallen ist. Weil sie gut war in diesen Rollen, wurden sie ihr immer wieder angeboten. Kaum war die Stimme international renommiert, schien sie in Gefahr. Zwar sang Michaela Schuster mit den berühmtesten Dirigenten der Welt, aber eine Ortrud bleibt eine Ortrud, und keine Stimme hält die Monokultur mit Ortruds und Kundrys auf Dauer aus. 

 

Mit der nun vorliegenden CD kommt weitgehend Entwarnung: Im Jahr 2012 hat Michaela Schuster beim Eppaner Liedsommer einen Abend gegeben, der zeigt, wie sie das Kunstlied als "Gegengift" zum dramatischen Fach nutzt. Ein Mitschnitt wurde im Sommer 2015 von Oehms veröffentlicht. Das am Klavier von Markus Schlemmer sensibel mitgestaltete Programm ist klug ausgewählt. Volksliedhaftes von Brahms, Schumann und Reger gehört dazu und erklingt ohne jede Künstelei. Michaela Schuster erweist sich in bestem Sinn als naive Sängerin: Sie erzählt singend Geschichten, ist direkt und eindeutig in ihren künstlerischen Aussagen, dabei kultiviert in den Mitteln des Ausdrucks. Dass Mahlers Doppelbödigkeiten bei der Programmauswahl fehlen, dürfte kein Zufall sein. Beim Brahms' "Drunten im Tale" oder auch beim komplexen "Nicht mehr zu dir gehen" ist sie in ihrem Element. Auch Schumanns "Widmung" und "Schneeglöckchen" kommen ihr ohne mentale Verrenkungen über die Lippen. Bei düsteren Stücken wie Schumanns "Der schwere Abend" oder Regers "Totensprache" färbt sich die reiche Stimme quasi von selbst, findet zu betörenden Tönen.

 

Hier und natürlich bei den abschließenden Podiumsliedern von Richard Strauss (zwischen "Georgine", "Ruhe, meine Seele" und "Morgen") hört man das solide technische Fundament. Ein rein technisch sehr heikles Lied wie "Befreit" macht keinerlei Mühe. Kein Zweifel: Michaela Schuster hatte gute Lehrerinnen: Helena Lazarska, die strenge Zuchtmeisterin am Salzburger Mozarteum, und Jamila Rudolfova (Götz Friedrichs erste Salome) an der Universität der Künste. Nicht genannt wird in den offiziellen Biografien die früh verstorbene Gisela Andreas, die die junge Sängerin in die Kunst des Liedes einführte. Vertreten von einer großen und einflussreichen Agentur wird Michaela Schuster weiterhin als Kundry und Ortrud reüssieren. Mit Liederabenden sollte sie mehr Chancen bekommen. Und bieten nicht auch Bachs Matthäus-Passion oder seine h-Moll-Messe dankbare Aufgaben für diese Stimme?

Von Stephan Mösch

 

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